Observerships

Observerships in Acute Care Surgery

Erfahrungsbericht Dr. med. Oliver Quaile

Acute Care Surgery (ACS) in der Schweiz

Erfahrungsbericht erstes Schweizer Hospitationsstipendium ACS am Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) in Lausanne

Das Konzept der Acute Care Surgery (ACS) ist vor über 20 Jahren in den USA notgedrungen aufgrund eines erheblichen Mangels an breit ausgebildeten Chirurginnen und Chirurgen für chirurgische Notfälle entstanden. Seither wurde es weiterentwickelt und in unzähligen Spitalstrukturen weltweit integriert. Auch in den Schweizer Akutspitälern besteht ein beträchtlicher Anteil der allgemein-/viszeralchirurgischen Tätigkeit aus der Akutversorgung von chirurgischen Notfallpatienten. Die steigende Anzahl elektiver Eingriffe und die Anforderung an eine bestmögliche Versorgung stellen die chirurgischen Kliniken aufgrund der zunehmenden Spezialisierung, Zentralisierung und Kostenoptimierung vor personelle und infrastrukturelle Herausforderungen, die mehrheitlich durch jedes Akutspital eigenständig bewältigt werden.

Aufgrund meiner Interessen im ACS-Gebiet sowie als Stv. Oberarzt im ACS-Team von Prof. B. Schnüriger am Inselspital Bern liegt mir die optimale Versorgung von chirurgischen Notfallpatienten sehr am Herzen. Leider ergeben sich im hektischen Klinikalltag nur wenig Gelegenheiten, sich mit anderen allgemein-/viszeralchirugischen Kliniken sowie Kolleginnen und Kollegen über Organisationsstrukturen auszutauschen. Das Hospitationsstipendium der SGVC war deshalb eine optimale Gelegenheit, einen umfassenden Einblick in die Akutversorgung chirurgischer Notfallpatienten an einem anderen Universitätsspital zu erhalten.

Das Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) in Lausanne habe ich aus mehreren Gründen gewählt: Einerseits lassen sich aufgrund der ähnlichen Spitalgrösse gute Vergleich mit meinem jetzigen Arbeitsumfeld ziehen. Andererseits gilt Lausanne, für das Zweite meiner Interessengebiete, der kolorektalen Chirurgie, als Referenzzentrum. Die in der Pandemie vermehrt aufgeflammte «Röstigraben-Diskussion» als symbolische sprachliche sowie kulturelle Kluft sei hier nur als Randbemerkung erwähnt.

Im Gegensatz zu einem Fellowship in einer elektiven viszeralchirurgischen Subspezialität, ist ein ACS-Fellowship weniger planbar, da sich bekanntlich chirurgische Notfallpatienten kaum an Tageszeiten oder Wochentage halten. Ich haben mich deshalb entschieden, mein Hospitationsstipendum aufzuteilen und sowohl im September als auch im November jeweils eine Woche am CHUV zu verbringen. Somit war es möglich, Änderungen bzw. Wünsche für die zweite Woche anzubringen. 

Wie in vielen viszeralchirurgischen Zentren in der Schweiz ist auch am CHUV die Patientenbetreuung organspezifisch organisiert. Chirurgische Notfälle werden primär vom Dienstteam beurteilt und, sofern indiziert, operiert, jedoch für die Weiterbetreuung dem entsprechenden Organteam übergeben. Ein designiertes ACS-Team im engeren Sinne besteht nicht. Der grösste Anteil der chirurgischen Notfallpatienten wird vom kolorektalen Team versorgt und betreut.

Bereits unmittelbar nach Ankunft am ersten Tag konnte ich das Dienstteam, bzw. den diensthabenden Oberarzt bei seinen vielseitigen Aufgaben (Beurteilung von Patienten auf der Intensiv-/Normalstation, im Notfall oder Schockraum; Durchführung von notfallmässigen Operationen oder Revisionseingriffen) begleiten. Viele Therapiemassnahmen folgen entsprechenden Behandlungsstandards, welche aufgrund evidenzbasierter Grundlagen definiert wurden. Beispielhaft ist hier der «2-Staged Approach» bei septischen Patienten mit Perforation im Dünn-/Dickdarmbereich hervorzuheben. Der Zweiteingriff findet 24-48 Stunden nach der initialen operativen Versorgung im Tagesprogramm statt. Der Situs kann somit durch eine/n erfahrene/n leitende/n Viszeralchirurgin oder Viszeralchirurgen beurteilt werden. Anschliessend wird der Entscheid für oder gegen eine allfällige Anastomose gefällt. Die Rate an endständigen Stomata soll damit entsprechend reduziert werden. Eine elegante Lösung, personelle Ressourcen zur optimieren und eine qualitativ hochstehende Versorgung zu gewährleisten.  

Da sich die Auslastung des chirurgischen Notfalldiensbetriebs, wie bereits oben erwähnt, nur schlecht steuern lässt, hatte ich genügend Möglichkeiten, mein breites chirurgisches Interesse auch in anderen Bereichen, vorzugsweise der kolorektalen Chirurgie zu vertiefen. So konnte ich an den kolorektalen Sprechstunden, am «Colloque Multidisciplinaire d’Oncologie Gastrointestinale» sowie an ausgewählten elektiven korolektalen Eingriffen teilnehmen. 

Während meines zweiwöchigen Fellowships konnte ich zudem sämtliche klinikinterne Fortbildungen besuchen inklusive dem «Grand Colloque de Chirurgie» einer monatlichen Fortbildungsreihe, bei der internationale Fachexperten über ausgewählte Themen diskutieren; mit Prof. Gregg Nelson als Surgical Leader ERAS Alberta einem ausgewiesenen Experten im Bereich «Enhanced Recovery after Surgery».

Wie viele Akutspitäler in der Schweiz sieht sich leider auch das CHUV mit eingeschränkten Operationskapazitäten konfrontiert, wobei sich die Situation sicherlich pandemiebedingt zusätzlich verschärft hat. Als interessanter Lösungsansatz möchte ich das «Centre Ambulatoire Chirurcigal Beaumont» erwähnen, ein spitalinternes ambulantes Operationszentrum. Neben proktologischen Eingriffen, Hernienversorgungen, Cholezystektomien und Appendektomien à froid werden mittlerweile auch laparoskopische Ilezökalresektionen bei ausgewählten Patientinnen und Patienten ambulant durchgeführt. Zusätzlich können freie Operationskapazitäten für stationäre elektive Eingriffe verwendet werden um zumindest partiell den infrastrukturellen Engpass aufzufangen.

Als Gastarzt fühlte ich mich durch das Team vom CHUV von Anfang an akzeptiert und integriert. Ich hatte die uneingeschränkte Möglichkeit, an elektiven oder notfallchirugischen Eingriffen als Gastassistent am Tisch oder als Beobachter im Operationssaal teilzunehmen. Fachliche sowie organisatorische Fragen konnten ohne Zurückhaltung gestellt werden und wurden vorbehaltslos beantwortet. Somit entstanden anregende und interessante Diskussionen.  

Unsere chirurgische Tätigkeit lebt vom fortlaufendend fachlichen Austausch. Das Hospitationsstipendium der SGVC bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, das persönliche Netzwerk zu erweitern, den interinstitutionellen Gedankenaustausch zu fördern und das Wissen auf dem Weg zum Schwerpunkt Viszeralchirurgie zu vertiefen. Ich möchte mich bei der SGVC sowie bei der viszeralchirurgischen Leitung des CHUV insbesondere dem Team von Prof. D. Hahnloser (Prof. M. Hübner, PD. Dr. med. F. Grass) und dem gesamten Dienstteam für die zwei lehrreichen Wochen bedanken. Ein weiterer Dank gilt der SwissACS, welche das Fellowship zusätzlich finanziell unterstützt.